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Warum das Zwei-Grad-Ziel ein (Kommunikations-) Problem ist

von Michael Brüggemann und Fenja De Silva-Schmidt

Thermometer 2 Grad mehrIn seinem Kommentar zur Klimapolitik hat sich der Innenpolitik-Chef der FAZ kürzlich schwer vertippt: Er schreibt, es gäbe „die Verpflichtung, bis 2050 die Erwärmung deutlich unter zwei Grad zu senken“. Dabei ist es natürlich so, dass sich die Zwei-Grad-Grenze, so wie sie die Staatengemeinschaft 2015 in Paris beschlossen hat, auf das Jahr 2100 bezieht. Fehler können passieren und gehören zum journalistischen wie zu jedem anderen Handwerk dazu – genauso wie eine öffentliche Korrektur des Fehlers, mit Publikation möglichst an gleicher Stelle.

Dass ein solcher Fehler bei einer der führenden Qualitätszeitungen vorkommt, hat aber möglicherweise tieferliegende Gründe: Die Zwei-Grad-Grenze bietet keine Anleitung und wenig Anreiz für gute Klimapolitik in der Gegenwart.

Erstens wissen die meisten Menschen nur sehr unpräzise, worum es geht. In unserer aktuellsten Down to Earth-Umfrage aus dem Dezember 2019 wussten nur 21,5 Prozent der Deutschen, dass das Zwei-Grad-Ziel beinhaltet, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100 auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. In der ersten Befragung 2015 waren es 20,3 Prozent, es ist also auch kein langfristiger Lerneffekt erkennbar.

Zweitens ist die Zwei-Grad-Marke politisch überholt, denn seit dem Pariser Abkommen lautet das Ziel eigentlich, deutlich unter 2 Grad Erwärmung zu bleiben und eher eine Erwärmung um nicht mehr als 1,5 Grad anzustreben. Denn schon diese Erwärmung bringt gravierende ökologische Risiken, zum Beispiel für das Überleben von Korallenriffen mit sich (siehe den Sonderbericht des Weltklimarats). Daher setzen sich Fridays for Future und die Scientists for Future auch für das 1,5-Grad-Ziel ein.

Drittens, und das ist der wichtigste Punkt, ist die Zwei-Grad-Grenze schlicht irrelevant für das tägliche Handeln und Entscheiden – sowohl in der Politik als auch für die individuellen Entscheidungen, die wir alle jeden Tag treffen. Abstrakt folgt daraus, dass sich alles ändern muss… konkret folgt daraus nichts. Niemand kann sich vorstellen, welche Maßnahmen genau heute getroffen werden müssten, um irgendein Ziel im Jahr 2100 zu erreichen.

Neben dem 1,5 (oder 2)-Grad-Ziel sollte sich Journalismus zum Thema Klimapolitik auf die kurzfristigen Ziele konzentrieren. Die Bundesregierung hat im Klimaschutzprogramm mittlerweile Emissionsziele für verschiedene Sektoren pro Jahr benannt. Auch wenn sich diese Ziele im Kleingedruckten verstecken – an ihnen sollte kritischer Journalismus ansetzen und sich fragen: Warum werden sie verfehlt? Und was sollten die Minister tun, in deren Verantwortungsbereichen die Ziele besonders krachend verfehlt werden?

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