von Norman Schumann und Michael Brüggemann
Seit mehr als 22 Jahren ist einer der besten Sendeplätze der ARD, kurz vor der Tagesschau, dem Thema Finanzmarkt vorbehalten. Aus “Börse vor acht” wurde im März 2022 “Wirtschaft vor acht”. In einer Pressemitteilung kündigte die ARD an: “Ein Schwerpunkt ist das Themengebiet Ökonomie/Ökologie.” Grund genug, nach einem Jahr genauer auf die Inhalte des neuen Formats zu schauen.
Hintergrund des Re-Brandings des ARD Programms vor acht Uhr war möglicherweise die Kritik von Initiativen wie “KLIMA° vor acht”, welche die Vernachlässigung des Themas Klimawandel im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kritisieren. Die Initiative forderte, unter anderem in einem offenen Brief, künftig kurz vor der Tagesschau Klimathemen statt ausschließlich Wirtschaftsthemen zu behandeln. Über Crowd-Funding finanzierte sie sogar die Produktion von sechs Folgen einer Serie “KLIMA° vor acht”, die vor Augen führen sollte, dass und wie das Klima-Thema auch für ein breites Publikum in einem kurzen Format interessant dargestellt werden kann.
In einer aktuellen Studie, erschienen bei Media Perspektiven, haben wir das Gesamtprogramm von ARD, ZDF und WDR von 20. Juli 2021 bis 30. Oktober 2022 untersucht und auch einen genaueren Blick auf die Tagesschau geworfen: Kernbefund, seit ein paar Jahren gibt es zwar mehr Klimaberichterstattung, aber es bleibt nach wie vor ein Nischenthema.
Nun also ein genaueren Blick auf “Wirtschaft vor acht”. Was hat sich nun in der Wirtschaftssendung geändert? Können die Programmverantwortlichen und die Wirtschaftsredaktion der Ankündigung aus der Pressemitteilung gerecht werden? Natürlich würden sich gerade in der Wirtschaftsberichterstattung vielfältige Bezüge zum Themenkomplex Ökonomie und Ökologie anbieten. Wir werden nun die Jahre 2021 und 2022 genauer vergleichen: erstens geht es um die bloße Erwähnung des Wortes Klima. Hier wird also geprüft, ob es als Querschnittsthema und Bezugsgröße überhaupt vorkommt. Zweitens haben wir manuell kodiert, wie viele Sendungen sich schwerpunktmäßig dem Thema Klima gewidmet haben.
Optische Änderungen
Aber vorweg ein Blick auf die Optik der Sendung: Wie schon bisher wird das neue Format “Wirtschaft vor acht” an der Frankfurter Börse aufgenommen. Die Screenshots zeigen: derselbe Moderator steht an ähnlicher Stelle, wobei die Börsenkurse und die Computer der Frankfurter Börse etwas weniger prominent im Bild sind.
“Börse vor acht” vom 08. März 2021
“Wirtschaft vor acht” vom 08. März 2022
Optisch hat sich, wie die Bilder zeigen, unterm Strich nicht viel geändert – was natürlich noch nichts über die Inhalte aussagt.
Inhaltlich vorher und nachher
Zunächst haben wir automatisiert die Erwähnung des Wortes Klima gezählt. Das einfache Suchwort Klima ist gut in der Lage, 94 Prozent der Erwähnungen (Precision) zu erfassen, wie wir für die größere Programmstudie geprüft haben (Media Perspektiven 2023). Basis beider Auswertungen ist eine automatisierte Transkription durch die Google Speech-to-Text API der Tonspur des Livestreams der ARD. Die Methodik wird im erwähnten Aufsatz genauer erklärt.
Seit der Umbenennung der Sendung nimmt die Erwähnung des Wortes “Klima” leicht ab. Vom März 2021-2022 wurde es in 69 von 246 Sendungen erwähnt. Im folgenden Jahr erwähnten 53 von 243 Sendungen das Suchwort – das entspricht ca. 21,8% der werktäglichen Sendungen. Diese Auswertung deutet darauf hin, dass der Klimawandel zwar als Referenz regelmäßig vorkommt, aber schon die vielen Tage ohne bloße Erwähnung zeigen: sehr viel Wirtschaftsberichterstattung kommt nach wie vor ohne einen Bezug zu dem Thema aus. Bei der Bewertung dieser Zahlen ist zu bedenken: fast jede wirtschaftliche Aktivität und Entscheidung hat einen Klimabezug, da sie zumindest indirekt zu mehr (oder weniger) Kohlendioxid-Emissionen beiträgt.
Die bloße Erwähnung heißt natürlich noch nicht, dass es sich um einen inhaltlichen Schwerpunkt gehandelt hat. So stellt der Nebensatz “[…] und das ist auch klimapolitisch wichtig” noch keine Erklärung von Klimapolitik dar. Daher haben wir manuell kodiert, wie häufig das Thema Klima tatsächlich einen Schwerpunkt der Sendungen von “Wirtschaft vor acht” dargestellt hat. Hier haben wir einen Schwerpunkt angenommen, wenn sich eines der in der Sendung gezeigten Schaubilder (siehe Beispiel oben) mit dem Thema beschäftigt hat. Dabei ergaben sich lediglich 19 Sendungen, in denen ein Schwerpunkt der Sendung auf Klima lag, also gerade mal 7,8 % aller Sendungen. Nur eine einzige Sendung hat sich ausschließlich mit dem Klimawandel beschäftigt, am 18. Juli 2022 gab es drei Minuten zum Thema. Die Moderatorin wurde dafür unter anderem vom RND gelobt.
Über das Thema Klimawandel zu berichten erscheint demnach immer noch als besonderes Engagement und nicht als neue Normalität einer Wirtschaftsberichterstattung, die Nachhaltigkeitsfragen in den Vordergrund stellt. Lediglich im Juli 2022 gab es durch die heißen Sommertage eine erhöhte Aufmerksamkeit für Klimathemen bei “Wirtschaft vor acht” und auch im Januar bemühte man sich, vermutlich beeinflusst durch die Proteste in Lützerath, um diese Themen. Damit folgte “Wirtschaft vor acht” lediglich der allgemeinen Nachrichtenberichtstattung. Die Klimakrise war im ersten Jahr kein Schwerpunkt im neuen Sendekonzept.
Disclaimer: Der Autor Norman Schumann ist Mitbegründer und Sprecher der Initiative KLIMA° vor acht.
