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Das Klimaschutzprogramm 2030: eine Farce

von Joana Kollert

Vor gut einem Monat hat das Klimakabinett der Bundesregierung sein Klimaschutzprogramm 2030, meist bezeichnet als “Klimapaket”, vorgestellt. Das Programm wurde häufig für mangelnden Ehrgeiz kritisiert. Beispielsweise meint Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, dass die vorgesehenen Maßnahmen „bestenfalls für ein Drittel des Weges“ bis zur 2030er Ziellinie reichen. Ich habe mir die Zusammenfassung des Klimaschutzprogrammes durchgelesen und möchte meine eigenen Bedenken einbringen.

Das Klimaschutzprogramm 2030 stellt konkrete Maßnahmen vor, wie das Klimaschutzgesetz umgesetzt werden soll. Die Kernaussage: die Treibhausgasemissionen sollen bis 2030 um 50% im Vergleich zu 1990 verringert werden. Damit will die Bundesregierung den deutschen Beitrag zum Pariser Abkommen leisten, welches die Erderwärmung auf unter 2°C, wenn möglich unter 1,5°C , begrenzen will.

Der Kontrollmechanismus: ein Schein

Konkrete Einsparziele werden erstmals für alle Sektoren und für jedes Jahr gesetzlich festgeschrieben. Das Klimakabinett überprüft jährlich, wie effektiv und zielgetreu die umgesetzten Maßnahmen sind. Wenn ein Sektor, z.B. Transport und Verkehr, seine Ziele nicht erfüllt, muss das zuständige Ministerium innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm zur Nachsteuerung vorlegen. Die Einsparmaßnahmen sollen dann so angepasst werden, dass die Ziele doch noch erreicht werden können. Damit sind ab jetzt „alle Ministerien Klimaschutzministerien“ sagt die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Diese Selbstkontrolle qualifiziert aber bestenfalls als selbst gestricktes Feigenblatt. Die Ministerien können immer wieder ihre Ziele verpassen, solange sie brav ein Sofortprogramm zur zukünftigen Nachbesserung innerhalb der dreimonatigen Frist nachlegen. Wir alle wissen, dass es nicht einfacher wird, ein anspruchsvolles langfristiges Ziel zu erreichen, wenn man immer wieder kurzfristige Ziele auf dem Weg dorthin verpasst. Ein trauriges Muster wird hier erkennbar; bereits die ursprünglichen Klimaziele der Bundesregierung, Treibhausgase bis 2020 um 40% im Vergleich zu 1990 zu verringern, werden mit Sicherheit verfehlt. Interessanterweise hatte Svenja Schulze noch im Februar in einem Entwurf des Klimaschutzprogramms den Vorschlag eingebracht, dass die einzelnen Ministerien mit ihrem Haushalt dafür aufkommen sollen, wenn sie ihre Klimaschutzziele nicht erreichen. Dieser Anspruch wurde allerdings gestrichen.

Kohlenstoffdioxid-Bepreisung 

Die Auflockerung des Kontrollmechanismus und die Streichung der monetären Sanktionen grenzt an Ironie, wenn man die für das Klimaschutzprogramm eingeführte Bepreisung betrachtet. Sie sieht vor, dass Produzenten künftig für ihre Ausstöße bezahlen müssen, wobei ein nationales Emissionshandelssystem mit Zertifikaten zum Einsatz kommen soll. Jeder Sektor hat ein bestimmes Emissions-Kontigent an zur Verfügung. Dieses Kontingent wird dann in Form von Zertifikaten an die Unternehmen der jeweiligen Sektoren verkauft; ab 2021 zu einem Festpreis von 10 Euro pro Tonne, welches bis 2025 auf 35 Euro pro Tonne erhöht werden soll. Unternehmen dürfen also nur so viel ausstoßen, wie sie Zertifikate ergattern. Wenn sie ihr Kontingent überschreiten, können sie Zertifikate von anderen Unternehmen aufkaufen, die ihr Kontigent nicht ausreizen. Laut Klimaschutzprogramm ist „ein sektorübergreifender einheitlicher Preis für Treibhausgasemissionen […] volkswirtschaftlich der kosteneffizienteste Weg (um) Klimaziele zu erreichen“ (Klimaschutzprogramm 2030). Die Wirtschaft, also Hersteller und Konsumenten, werden so gezwungen, in den Geldbeutel zu greifen, wenn sie sich nicht klimafreundlich verhalten – ein krasser Gegensatz zu den Kontrollmechanismen für die einzelnen Ministerien. Wenn diese ihre vorgeschriebenen Ziele verfehlen, reicht es, wenn sie ihr Versagen unter Versprechen der Besserung dokumentieren.

Bleiben wir doch noch ein wenig bei der Bepreisung. Viele Kritiker empfinden den anfänglichen Satz von 10 Euro pro Tonne CO2-Emission ab 2021 als viel zu gering. Die Grünen etwa fordern einen Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne. Zudem ist das Konzept hinter dieser Bepreisung äußerst fragwürdig. Die Kosten von Kohlenstoffdioxid-Emissionen zu errechnen ist nicht schlüssig – denn wie beziffert man den Schaden, den eine Tonne auslöst, vor allem bei der Diskrepanz zwischen Zeitpunkt und Ort der Emissionen und deren Auswirkung? Nach den vorgeschriebenen Festpreisen bis 2025 soll sich der Zertifikatpreis „grundsätzlich am Markt“ bilden. Prinzipiell haben größere Unternehmen, welche auch mehr ausstoßen, mehr Geld. Dies bedeutet, dass sie die Möglichkeit haben, kleineren Unternehmen, welche (verallgemeinert) umweltfreundlicher produzieren und weniger ausstoßen, die Zertifikate wegzukaufen. Besonders schwierig wird es hierbei für Markteinsteiger, insbesondere für solche die umweltfreundliche, oft teurere, innovative Technologien nutzen. Hierbei sehe ich die Gefahr, dass der deutsche Markt von einigen, wenigen Herstellern dominiert wird, welche es sich weiterhin leisten können, unvermindert Emissionen auszustoßen. Wenn man bedenkt, dass weltweit 20 Firmen für 35% aller Emissionen verantwortlich sind, scheint dieses Risiko nicht weit hergeholt. Auch wenn die Bepreisung zur Einhaltung eines Ausstoßkontingents beitragen kann, wird sie möglicherweise die großen Drecksschleudern nicht besonders einschüchtern, während es neue, umweltfreundlichere Alternativen schwer haben, sich am Markt zu behaupten. Hinzu kommt die nüchterne Erkenntnis, dass es dem Treibhausgaseffekt egal ist, wenn wir für unsere Emission „büßen“ und bezahlen lassen; Geld wird die Erderwärmung nicht aufhalten.

Sektorspezifische Minderungsziele

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die vorgegebenen sektorspezifischen Minderungsziele; sie stehen nämlich in keinem Vergleich zu den tatsächlichen Emissionen.

Ein rationaler Ansatz wäre, dass die Sektoren, die mehr ausstoßen, auch größere Minderungsziele verfolgen.  Ein Mysterium liegt daher im Vergleich zwischen dem Gebäude- und Energiesektor. Während der Gebäudesektor lediglich 14% zu den gesamten Emissionen beiträgt, und der Energiesektor 39%, sind die Minderungsziele im Gebäudesektor tatsächlich etwas höher (66-67%) verglichen mit dem Energiesektor (61-62%). Ungeachtet der konkreten Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung in den beiden Sektoren zur Tat schreiten möchte, erscheint mir hier eine gähnende Diskrepanz zwischen Minderungspotential und Minderungsziel.

Natürlich ist es ein Fortschritt, wenn sich die Bundesregierung konkrete Gedanken zu sektorspezifischen Minderungszielen macht. Sie sind ein wichtiger Schritt von der Theorie zur Praxis. Dennoch empfinde ich den Kontrollmechanismus als inkonsequent, und die Minderungsziele reflektieren weder die Minderungspotentiale, geschweige denn Bedürfnisse. Um zum Abschluss den renommierten Klimaforscher Mojob Latif zu zitieren, könnte man dieses Klimaschutzprogramm als „eine Art Sterbehilfe für das Weltklima“ sehen.

https://www.mdr.de/wissen/deutschland-top-fuenf-klima-emissionen-100.html

https://www.bmu.de/service/haeufige-fragen-faq/faq-klimaschutzprogramm-2030/

https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975232/1673502/768b67ba939c098c994b71c0b7d6e636/2019-09-20-klimaschutzprogramm-data.pdf?download=1

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