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Rezension: “Medien in der Klima-Krise”

Cover Medien in der Klima-Krise

von Leia Nicki Kantenwein

In dem von KLIMA° vor acht herausgegebenen Sammelband „Medien in der Klima-Krise“ beschäftigen sich Expert_innen aus den Bereichen Klima- und Kommunikationsforschung mit dem Zustand, den Problemen und mit Möglichkeiten zur Verbesserung der Berichterstattung über die Klimakrise. In dem Buch ist wichtiges Wissen versammelt, das Medienschaffende zum Umdenken bewegen kann. Leider tappen viele Beiträge in die Falle des Individualismus.

In 23 Beiträgen versammelt der 2022 erschienene Band verschiedene Stimmen aus der Praxis und aus der Forschung. Er stellt die Frage, wie man einen Journalismus gestalten kann, der den gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen ist, die die fortlaufende Zerstörung unserer aller Lebensgrundlage mit sich bringt. Auch in diesem Buch wird sich dazu die Frage gestellt: Kann ein Journalismus, der sich mit der Klimakrise befasst, überhaupt objektiv sein? Lange haben Medienschaffende diese Frage mit „Ja!“ beantwortet, indem sie die augenscheinlichen zwei Seiten der Diskussion gleich zu Wort haben kommen lassen. Michael Brüggemann, Susan Jörges, Robert Krieg und John Cook erklären in diesem Buch, wie dadurch eine False Balance entsteht. Eine faktisch falsche, nur von einer unglaubwürdigen Minderheit vertretene Position wird so gleichgesetzt mit einem wissenschaftlichen Konsens, der von der überwiegenden Mehrheit der Expert_innen in dem Feld vertreten wird.

Also noch mal: Kann der Journalismus hier weiter an dem Ideal der Objektivität festhalten? Dieser Band beantwortet die Frage mit einem klaren „Nein!“. Uwe Krüger und Jürgen Döschner, interviewt von Friederike Mayer, beschreiben, warum es von vornherein keinen objektiven und neutralen Journalismus gab und warum das Festhalten an diesem Ideal nicht mit einem transformativen Journalismus vereinbar ist. Maren Urner erklärt das Thema aus einer psychologischen und neurologischen Sicht. Schon bei der Auswahl der Themen, über die berichtet werden soll, kann man nicht mehr von Objektivität sprechen. Das trotzdem zu versuchen ist besonders bei diesem Thema hinderlich, weil die Klimakrise eben nicht eines von vielen Themen ist, sondern sich durch sämtliche Themen und Lebensbereiche zieht. Die Medien müssten das auch dementsprechend behandeln.

Ein Thema, dass dieser Band indirekt anspricht, ist das Konzept der Discourses of climate delay. Dazu gehören verschiedene Taktiken, um nötige Maßnahmen gegen Umweltzerstörung argumentativ abzuwehren oder zu verlangsamen. Eines dieser Argumente ist Doomism, also der Glaube, dass doch eh schon alles verloren ist und es sich gar nicht mehr lohnen würde, etwas gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlage tun zu wollen. Dieses Thema wird von Michael E. Mann und Marcus Maurer aufgegriffen, die dem Doomism einen Journalismus entgegensetzen, der sich den Problemen der Klimakrise lösungsorientiert widmet. Noch eines dieser Argumente ist der sogenannte Whataboutism. Carel Mohn und Sven Egenter zeigen auf, warum man nicht einfach auf China verweisen kann, um sich seiner Verantwortung zu entziehen.

Journalismus muss die Mächtigen kritisieren – und das sind nicht die Aldi-Billigfleischkäufer

Die Strategie des Individualism lenkt durch die Betonung individueller Handlungen von systematischen Lösungsvorschlägen ab. Michael Brüggemann und Susan Jörges fokussieren sich in ihrem Artikel auf Konsumentscheidungen und Lösungen, die Konsumierende einschränken, statt das Problem der Produktion anzusprechen. Ein System, das auf endlosem Wachstum beruht, kann aber nicht dadurch umweltfreundlicher werden, dass an die Vernunft der Konsumierenden appelliert wird.

Nur 100 Unternehmen sind für über 70 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ob ich mich im Supermarkt für das teurere, aber umweltfreundliche Produkt entscheide, hat nicht ansatzweise die Auswirkung, die es haben könnte, wenn nur eines dieser Unternehmen seine Produktion einstellen würde oder für das Wohl der Gesellschaft enteignet und umstrukturiert werden würde. Die Profite einer kleinen, aber mächtigen Minderheit sind der Grund, warum unsere Umwelt zerstört wird. Das wird im Journalismus generell kaum und in diesem Band gar nicht angesprochen. Am nächsten dran an diesem Punkt sind Robert Krieg, der am Kapitalismus als System Kritik übt, aber nicht an den Kapitalisten als real existierende Personen, die man zur Verantwortung ziehen kann, und Annika Joeres und Susanne Götze, die sich darauf fokussiert haben, die Lobbyarbeit und Propaganda dieser Unternehmen und ihren Einfluss auf den Journalismus aufzudecken. Ellen Heinrichs beschreibt in ihrer Utopie eines zugewandten und empathischen konstruktiven Journalismus sogar einen „allparteilichen“ Journalismus, der statt einer „Opposition gegenüber den Mächtigen“ ein „Verbündeter der Menschen“ sein soll. Wie man gleichzeitig auf der Seite der sekttrinkenden Superjachtbesitzer und auf der Seite der kolonialisierten Völker des globalen Südens sein kann, bleibt bei dieser Vorstellung eines nicht existierenden Zusammenhalts der Klassen ausgeblendet.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass es für einen Journalismus in Zeiten der Klimakrise wichtig sein muss, den Mythos der Objektivität abzulegen, keine False Balance aufzustellen und die verschiedenen Discourses of Delay zu vermeiden. Darauf, dass sich der Diskurs nur auf den Konsum oder Nicht-Konsum der Einzelnen beschränkt, dürfen wir uns nicht einlassen, denn darum geht es bei der Bekämpfung der Klimazerstörung nicht. Schuldige müssen klar benannt und zur Rechenschaft gezogen werden. Und das geht nur durch einen Journalismus, der seinen Blick kritisch auf die Mächtigen richtet. Um es mit den Worten des Gewerkschaftlers Utah Phillips zu sagen: “The earth is not dying – it is being killed. And the People who are killing it have names and addresses.”

Leia Nicki Kantenwein studiert Journalistik und Kommunikationswissenschaft (MA) an der Universität Hamburg.

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